MEINE Biserica Evangelica Fortificata!
Erinnert ihr euch noch an das Spiel, das wir früher immer auf langen Autofahrten gespielt haben? Je nach Jahreszit und Familientradition geht es zum Beispiel so: Man zählt alle (beleuchteten) Christbäume, die bei einer nächtlichen Nachhausfahrt in Sichtweite kommen. Das haben wir in meiner Familie gemacht. Meine Freundin Maria hat mit ihren Geschwistern ganzjährig "Mein Kran!" gespielt: Man hält Ausschau nach Baukränen und wer als erster einen erspäht, proklamiert ihn mit einem lauten "Mein Kran!" für sich. Wer am Ende die meisten Kräne gesammelt hat, hat gewonnen. Zweifelsohne ein Spiel, das eng mit aktuellen Konjunkturhochs und -paketen zusammenfällt!
Am Samstag haben wir wieder einen Auflug gemacht. Es ging zu drei der hierzulande typischen befestigten evangelischen Kirchen, die imzuge der deutschen Ansiedelung und der Bedrohung durch die Osmanem errichtet wurden: Eine Kirche mit Befestigungsanlage rundherum, in der die (deutsche, evangelische) Kirchengemeinde in Zeiten der Not sowohl Unterschlupf finden als auch sich verteidigen konnte. Brasov selbst ist eine hochbefestigte Stadt, aus demselben Grund. Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es in Siebenbürgen etwa 50 dieser befestigten Kirchen, und drei davon haben wir eben am Samstag angesteuert: Prejmer, Criț und Viscri.
Prejmer ist groß und eindrucksvoll:
Weiter gings zur nächsten Kirche! Diesmal eine recht kleine:
...mit sehr hübscher Verteidigungsanlage...
... in der sogar Störche nisten! Oh-Mann-wie-toll! - Sagt die Österreicherin, der beigebracht wurde, jedes Storchennest als Offenbarung zu betrachten, weil der Storchbestand in Österreich, abgesehen von ein paar günstigen Ecken, leider zu gering ist. Hier kann man aber in vielen Dörfern gleich zwei Nester sehen und meine begeisterten Ausrufe werden gar nicht so recht verstanden.
Die Kirche ist recht hübsch, mit Orgel über dem Altar und hinten einem zweistöckigen Balkon für die Kirchengemeinde, genauer für die jungen unverheirateten Männer, die erst heiraten und sich beweisen mussten, bevor sie die Messe von unten hören durften. Die Synagoge in Brasov kam mir in den Sinn, wo zu orthodoxen Zeiten die Frauen oben saßen und die Männer unten, wobei auch hier dem Untensitzen größeres Prestige zukam. In der kleinen Kirche von Criț saßen die Frauen mit den Kindern vorne, dahinter die verheirateten Männer, und oben eben die jungen Männer. Das und noch viel, viel mehr erzählte uns die 91jährige Führerin mit so viel Elan und langem Atem, dass es mir furchtbar leidtat, dass ich eigentlich gar nichts verstand, so sehr ich mich auch bemühte. Es gab ein kleines Übersetzungsprogramm auf Englisch, das aber so leise war, dass ich lieber versuchte dem Rumänischen zu folgen. Erfolglos! Aber auch die anderen hatten Probleme mit dem auffälligen (sächsich-deutschen) Akzent der Führerin.
Ups, im oberen Bild ist ganz rechts die Führerin zu sehen! Eine sehr sympathische und spannende Person. Weil ich ganz vorne saß und sie immer freundlich und konzentriert ansah, schaute sie mich beim Reden oft an, was nach einer Viertelstunde ein bisschen unangenehm wurde, weil ich ja gar nichts verstand! Im Foto darüber die Ansicht des Altars mit Orgel, alles pingelig renoviert.
Ui, was knurren uns hier immer die Mägen, wenn es um 14 Uhr Essen gibt! Dieser Rhythmus wird auch bei den Ausflügen eingehalten, aber kaum einer hat sich daran gewöhnt: Mit einer Ausnahme sind alle immer am Verhungern, wenn es zu der ungewohnten Stunde endlich etwas zu futtern gibt. (Selbst die Spanne von halb Vier bis halb/dreiviertel Acht, wenn zum Abendessen geläutet wird, reicht locker aus, um hungrig zu werden.) Im obigen Bild seht ihr den 250 Jahre alten, renovierten Bauernhof, in dem jetzt eine Pension und ein Gasthaus bestehen. Einige hatten das Glück, in der gemütlichen Laube draußensitzen zu können, ich saß in einem kuschelig eingerichteten altrumänischen Wohnzimmer drinnen und fand es auch ganz nett: Die Kühle tat gut!
Und wieder weiter! Viscri ist eine bekannte Touristenattraktion, aber die Bewohner halten sich mit dem Souvenirverkauf sehr zurück beziehungsweise verkaufen nur so hübsche Sachen wie selbstgemachte Hauspantoffeln, die ich leider nicht bezahlen konnte, weil mir die Lei gerade ausgegangen waren. Die Kirche von Viscri ist außerordentlich schön:
Man kann den Turm besteigen und sich die Gegend von rundherum anschauen. Ich habe ausnahmslos jeden Winkel fotografiert, aber damit quäle ich euch jetzt nicht. Es war sehr hübsch. Mit so halsbrecherischen Steinstufen und Holztreppen ("Betreten auf eigene Gefahr"!), dass ich mir doch tatächlich einen Muskelkater im rechten Oberschenkel holte, vom Wieder absteigen wohlgemerkt. Schön war es aber und das dazugehörige ethnographische Museum war sehr informativ, was die Sozialstruktur dieser kleinen Gemeinden betrifft (mit strengen Regeln und kommunenartig, meinte ein slowenischer Kollege, der den Kurs bereits zum zweiten Mal macht). Sehr spannend! Ich war dann auch unter den ganz letzten, die wieder beim Bus eintrudelten, aber alle gaben vor, es gar nicht bemerkt zu haben. Sehr nette Leute!
Phu, drei evangelische Kirchen an einem Tag! Ich glaube, nicht alle hielten das für ein Idealprogramm. Ich fand es aber lustig, dass das nicht die einzigen derartigen Kirchen in der Umgebung sind, nein, ständig sieht man Schilder zu einer anderen "Biserica Evangelica Fortificata", und manchmal konnte man auch einen Blick auf die eindrucksvollen Bauwerke erhaschen, hier zum Beispiel:
Eine sehr attraktive Methode, einen Hügel zu nutzen!
Ich habe mich jedenfalls dazu hinreißen lassen, armen Kurskolleg_innen, die gerade in der Nähe saßen, das beliebte österreichische Kinder-Autofahr-Spiel zu erklären, in der "Mein Kran!"-Variante, und setzte durch, dass wir für den Rest des Weges "MEINE Biserica Evangelica Fortificata!" spielten. Natürlich galt es nur, wenn man "Biserica Evangelica Fortificata" auch vollständig und richtig aussprach. Selbstredend!
Ach, dieses Rumänien. Draculazähnchen überall!