Evolutionismus...
Hm. Ich fühlte mich beim heutigen Tutorium in Bezug auf Evolutionismus im Allgemeinen und Tylor im Besonderen irgendwie seltsam. Ich verstehe nicht, warum die Idee, dass sich menschliche Gesellschaften nach allgemeinen Gesetzen entwickeln, abzulehnen ist?
Menschen bestehen aus denselben Stoffen und funktionieren nach denselben Prinzipien. Es scheint mir nur logisch, dass diese Gleichartigkeit der Menschen auch auf ihr Sozialverhalten wirkt. Ähnliche Umstände bewirken ähnliche Reaktionen, so ähnlich hat das jemand formuliert, an den ich mich momentan nicht erinnere. Der Satz scheint mir nichtsdestotrotz nicht so unlogisch. Jeder wird mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, dass sich die Gesellschaften in Europa und in Afrika in ihren Grundzügen nicht anders entwickelt hätten, wenn man die Populationen dieser Kontinente vor 10.000 Jahren ausgetauscht hätte. Das habe ich von Jared Diamond, an seinen Namen erinnere ich mich, denn „Arm und Reich“ habe ich mit 17 fast in einem Zug durchgelesen.
Es hat also an der Umwelt gelegen, dass sich die menschlichen Populationen unterschiedlich entwickelt haben. Wenn es aber nicht die Individuen selbst waren, die ihre Gesellschaften bewusst gestaltet haben – welch ein romantischer, unwissenschaftlicher Gedanke im Übrigen! – und auch gleichzeitig Gesellschaften aus sich-entscheidenden Individuen bestehen --- dann muss es doch Regeln, Gesetze, allgemeine Prinzipien geben, nach denen Menschen in Gruppen sich entscheiden.
Die simple Grundregel „Vom Einfachen zum Komplexen“ – hat sie sich nicht global bewährt? So etwas kann man nicht an Entwicklungen nachvollziehen wollen, die keine paar hundert Jahre andauern. Gegen die Theorie, die Menschheit bewege sich auf einen Weltstaat zu, hat man den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg angeführt. Dabei ist nicht einmal ein Jahrzehnt später, 1951, mit der Kohle- und Stahlgemeinschaft der Grundstein zu einer neuen übernationalen Vereinigung gelegt worden, quod erat demonstrandum. Meine Güte, welch halbgare Argumente. Aber ich sehe trotzdem nicht ein, warum wir sämtliche Anzeichen einer allgemeinen, einer für alle Gesellschaften gleichartigen Entwicklung ignorieren sollen.
Evolution heißt, dass sich jene Strukturen durchsetzen, die es am besten schaffen, sich gegen die anderen durchzusetzen. Das muss einem nicht gefallen, mir gefällt es jedenfalls nicht – aber es entspricht doch der Realität. Der Kolonialismus in Afrika hat weichen müssen – nicht so die europäischen nationalstaatlichen Strukturen. Heute hat sich der europäische Nationalstaat fast weltweit durchgesetzt, und das nicht deshalb, weil er so gut für die Menschen wäre sondern weil er mehr „Überzeugungskraft“ hatte. Und es würde auch nicht helfen, hier die brutale Überformungspolitik seitens der Kolonialmächte zu einem unglücklichen Unfall, einem verhinderbaren Vorgang machen zu wollen und zu verdammen. Der Vorgang und die Absichten der Europäer lagen in der Struktur ihres Systems. Sie mögen brutal gewesen sein, das negiert aber nicht, dass die Nationalstaatsstruktur sich als durchsetzungsfähiger erwiesen hat.
Wer sagt denn, dass westliche Gesellschaften als besser, in einem moralischen Sinne höher zu bewerten sind? Tylor? Na, und? Er hat das aus dem allgemeinen Konsens seiner Zeit heraus geglaubt, was ich persönlich nicht verurteilen kann. Wir sind alle unserer Zeit verhaftet, wir können uns als Anthropologen nur an wissenschaftliche Kriterien halten und hoffen, dass unsere Forschungsergebnisse dadurch für kommende Generationen nicht völlig wertlos sein werden.
Wenn Tylors Stufenmodell wie eine hierarchische Pyramide aussieht und uns das heute sauer aufstößt – ist die Idee von allgemeinen Gesetzen der Entwicklung menschlicher Gesellschaften deshalb vom Tisch?
Überhaupt die Stufen! Wie viele Köpfe wurden schon geschüttelt über die Stufen. Die Vorstellung, dass sich eine Bigmangesellschaft bewusst entschließt, auf die höhere „Stufe“ eines Chiefdoms zu klettern, nur um des „Fortschritts“ willen, ist ja wirklich eine skurrile. Aber ich glaube, wir unterschätzen die Logik der Evolutionisten (und ja, ich glaube daran, dass es sie gibt), wenn wir ihnen unterstellen, dass sie sich diese Stufen übergangslos vorgestellt haben. Gerade ein Engländer wie Tylor muss „gradual change“ mit der Muttermilch aufgesogen haben, und das meine ich so. Ein Evolutionist würde immer an eine fließende, nicht abrupte Entwicklung glauben.
Und er würde auch nichts gegen einen „Rückfall“ (mir steht kein neutrales Vokabular zur Verfügung, ich frage mich, woran das liegt) in einen Zustand von weniger Komplexität haben, denn ein solcher widerspricht dem allgemeinen Trend - der Entwicklung auf lange Sicht - nicht.
Meine Güte, das klingt für mich jetzt ein wenig nach Kronenzeitung. Vielleicht sollte ich mein Ehrgefühl über Bord werfen und für die schreiben. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen diesem Text hier und einem, den ich für die Kronenzeitung verfasst hätte: obwohl ich mich immer wieder selbst klein gemacht habe, stehe ich auch zu dem, was ich geschrieben habe.
Vielleicht kommt ja eine Diskussion zustande?
Menschen bestehen aus denselben Stoffen und funktionieren nach denselben Prinzipien. Es scheint mir nur logisch, dass diese Gleichartigkeit der Menschen auch auf ihr Sozialverhalten wirkt. Ähnliche Umstände bewirken ähnliche Reaktionen, so ähnlich hat das jemand formuliert, an den ich mich momentan nicht erinnere. Der Satz scheint mir nichtsdestotrotz nicht so unlogisch. Jeder wird mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, dass sich die Gesellschaften in Europa und in Afrika in ihren Grundzügen nicht anders entwickelt hätten, wenn man die Populationen dieser Kontinente vor 10.000 Jahren ausgetauscht hätte. Das habe ich von Jared Diamond, an seinen Namen erinnere ich mich, denn „Arm und Reich“ habe ich mit 17 fast in einem Zug durchgelesen.
Es hat also an der Umwelt gelegen, dass sich die menschlichen Populationen unterschiedlich entwickelt haben. Wenn es aber nicht die Individuen selbst waren, die ihre Gesellschaften bewusst gestaltet haben – welch ein romantischer, unwissenschaftlicher Gedanke im Übrigen! – und auch gleichzeitig Gesellschaften aus sich-entscheidenden Individuen bestehen --- dann muss es doch Regeln, Gesetze, allgemeine Prinzipien geben, nach denen Menschen in Gruppen sich entscheiden.
Die simple Grundregel „Vom Einfachen zum Komplexen“ – hat sie sich nicht global bewährt? So etwas kann man nicht an Entwicklungen nachvollziehen wollen, die keine paar hundert Jahre andauern. Gegen die Theorie, die Menschheit bewege sich auf einen Weltstaat zu, hat man den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg angeführt. Dabei ist nicht einmal ein Jahrzehnt später, 1951, mit der Kohle- und Stahlgemeinschaft der Grundstein zu einer neuen übernationalen Vereinigung gelegt worden, quod erat demonstrandum. Meine Güte, welch halbgare Argumente. Aber ich sehe trotzdem nicht ein, warum wir sämtliche Anzeichen einer allgemeinen, einer für alle Gesellschaften gleichartigen Entwicklung ignorieren sollen.
Evolution heißt, dass sich jene Strukturen durchsetzen, die es am besten schaffen, sich gegen die anderen durchzusetzen. Das muss einem nicht gefallen, mir gefällt es jedenfalls nicht – aber es entspricht doch der Realität. Der Kolonialismus in Afrika hat weichen müssen – nicht so die europäischen nationalstaatlichen Strukturen. Heute hat sich der europäische Nationalstaat fast weltweit durchgesetzt, und das nicht deshalb, weil er so gut für die Menschen wäre sondern weil er mehr „Überzeugungskraft“ hatte. Und es würde auch nicht helfen, hier die brutale Überformungspolitik seitens der Kolonialmächte zu einem unglücklichen Unfall, einem verhinderbaren Vorgang machen zu wollen und zu verdammen. Der Vorgang und die Absichten der Europäer lagen in der Struktur ihres Systems. Sie mögen brutal gewesen sein, das negiert aber nicht, dass die Nationalstaatsstruktur sich als durchsetzungsfähiger erwiesen hat.
Wer sagt denn, dass westliche Gesellschaften als besser, in einem moralischen Sinne höher zu bewerten sind? Tylor? Na, und? Er hat das aus dem allgemeinen Konsens seiner Zeit heraus geglaubt, was ich persönlich nicht verurteilen kann. Wir sind alle unserer Zeit verhaftet, wir können uns als Anthropologen nur an wissenschaftliche Kriterien halten und hoffen, dass unsere Forschungsergebnisse dadurch für kommende Generationen nicht völlig wertlos sein werden.
Wenn Tylors Stufenmodell wie eine hierarchische Pyramide aussieht und uns das heute sauer aufstößt – ist die Idee von allgemeinen Gesetzen der Entwicklung menschlicher Gesellschaften deshalb vom Tisch?
Überhaupt die Stufen! Wie viele Köpfe wurden schon geschüttelt über die Stufen. Die Vorstellung, dass sich eine Bigmangesellschaft bewusst entschließt, auf die höhere „Stufe“ eines Chiefdoms zu klettern, nur um des „Fortschritts“ willen, ist ja wirklich eine skurrile. Aber ich glaube, wir unterschätzen die Logik der Evolutionisten (und ja, ich glaube daran, dass es sie gibt), wenn wir ihnen unterstellen, dass sie sich diese Stufen übergangslos vorgestellt haben. Gerade ein Engländer wie Tylor muss „gradual change“ mit der Muttermilch aufgesogen haben, und das meine ich so. Ein Evolutionist würde immer an eine fließende, nicht abrupte Entwicklung glauben.
Und er würde auch nichts gegen einen „Rückfall“ (mir steht kein neutrales Vokabular zur Verfügung, ich frage mich, woran das liegt) in einen Zustand von weniger Komplexität haben, denn ein solcher widerspricht dem allgemeinen Trend - der Entwicklung auf lange Sicht - nicht.
Meine Güte, das klingt für mich jetzt ein wenig nach Kronenzeitung. Vielleicht sollte ich mein Ehrgefühl über Bord werfen und für die schreiben. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen diesem Text hier und einem, den ich für die Kronenzeitung verfasst hätte: obwohl ich mich immer wieder selbst klein gemacht habe, stehe ich auch zu dem, was ich geschrieben habe.
Vielleicht kommt ja eine Diskussion zustande?
2 Comments:
Liebe Dani, du wirst das wahrscheinlich nicht mehr lesen, weil es doch schon eine lange Weile her ist, daß du deinen Kommentar geschrieben hast (danke, danke übrigens dafür!), aber ich will trotzdem noch antworten.
Wenn du sagst, der "anthropologische evolutinoismus" kranke daran, "dass er an den Zeitvektor einen Qualitätsvektor legt" - dann kann ich nur dagegen halten: der traditionelle Evolutionismus, und auch der nicht ausnahmslos. Der späte Spencer zum Beispiel trat in seinen Schriften dafür auf, die "Primitiven" nicht weiter zu drangsalieren und sich im Gegenteil aus ihren Angelegnheiten herauszuhalten.
Der zweite Punkt in dieser Beziehung ist für mich, daß eine moralische, oder eine wertende Perspektive ohnehin nichts mit Wissenschaft zu tun hat - wir können also ruhig die Wertungen der frühen Evolutinisten beiseite lassen und die wissenschaftliche Theorie und Methode verwenden! Ich meine, wenn man die kritisiert - gut. Aber die ethische Einstellung der Evolutionisten?
Dann würde ich sagen, daß es für die Ungleichzeitigkeit und Ungleichartigkeit der menschlichen Entwicklung durchaus sachliche Gründe abgesehen von Zufall gbt! Die unterschiedliche natürliche Umgebung zum Beispiel, aber es gibt da doch noch viele andere Theorien.
Außerdem kann man doch auch die Schnittstelle zwischen Biologie und jenem Unbestimmten, nicht Vorhersagbaren erforschen - wo die Grenze denn nun liegt. Ich bin eben der Ansicht, daß die Grenze oft viel näher bei der Biologie liegt als man oberflächlich denken würde.
Und was ist "intellektueller Eifer"?
Noch einmal danke für deine Antwort!
Liebe Almuth (unbekannterweise)
ich hab zwar selbst die Geschichte schon vor einem Jahr gemacht, bin jetzt aber auf die Tutoriumsblogs gestoßen, nachdem ich ca. alle drei Monate Andreas zerzaust lese.
Whatever, deine Überlegungen haben mich inspiriert, wieder mal ein bisschen unreflektiert über meine Einstellung zu dem was so als Evolutionismus bezeichnet wird nachzudenken. Nachdem ich neben KSA auch (und vor allem) Sprachwissenschaft studiere, bitte ich, Abschweifungen in der Argumentation zu entschuldigen.
Ich denke bei jedem sozialen Phänomen müssen wir überlegen, welche Faktoren sein Auftreten herbeiführen, aber auch, welche Universalien es überhaupt ermöglichen. So gesehen kann ein häufiger Rekurs auf die (biologische) Evolution des Menschen nur nützlich sein. Etwas, was die biologische Evolution und soziale Entwicklung gemeinsam haben, ist, dass sie stets nur ein lokales Optimum erreichen können (es sei denn man bezieht sich auf irgendeine leitende Instanz - selbst im sozialen Bereich scheinen die meisten dahingehenden Versuche gescheitert zu sein). Jeder angetroffene Phänotyp ist damit bestenfalls die bestmögliche Anpassung von einem gegebenen Ausgangspunkt aus. Wenn sich also in zweihundert Jahren, falls die Neurologie einmal über das Hirnstrommessen und mit-Medikamenten-Experimentieren hinaus sein sollte (bin beknnender Zyniker), einE LinguistIn wieder einmal darüber Gedanken machen sollte, wie denn die menschliche Sprachfähigkeit so beschaffen sein könnte, wird er oder sie neben den systemischen Voraussetzungen wie etwa der Linearisierbarkeit (d.h., Sprache bildet – vermutlich nichtlineare – Gedanken auf der eindimensionalen Zeitachse ab) auch Anknüpfungspunkte an die allgemeinen kognitiven Leistungen von Menschen wie auch Primaten suchen müssen. Alles andere wäre Kreationismus.
Vielleicht liegen ja gerade in den von der biologischen Evolution auferlegten Einschränkungen des menschlichen Geistes die Grenzen des kulturellen Evolutionismus.
Was mMn allerdings ein Fehler früher Evolutionisten war, ist die Auffassung von Komplexität als Selbstzweck. Ich glaube davon geht man auch in der Biologie teilweise ab. Ich weiß nicht mehr wo und bei wem ich das gelesen habe, aber ich kann mich irgendwie so dunkel an die Behauptung erinnern, die durchschnittliche Komplexität der Lebensformen auf der Erde sei seit dem Präkambrium nicht gestiegen, nur die Streuung.
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